Dem Verlauf der Geschichte zurück zu den Ursprüngen des Hinduismus zu folgen, heißt, mindestens 4000 Jahre in die frühe Bronzezeit zurückzureisen, als Zivilisationen im heutigen Nordwesten Indiens Wurzeln schlugen. Dank geschmiedeter Waffen, der Entwicklung von Landwirtschaft und einer hoch entwickelten Religion entstand im
Indus-Tal der Region eine Kultur, die von Gelehrten als vergleichbar mit jenen von Ägypten und Mesopotamien gehalten wird. Im Laufe der Jahrhunderte während diese Indus-Kultur sich durch verschiedene
Epochen entwickelte, unter anderem alte Königreiche, Invasionen durch andere Kulturen, eine britische Kolonialherrschaft und schließlich die Unabhängigkeit als die Nation Indien im Jahr 1947, gab es eine Konstante, die immer geblieben war, die spirituelle Tradition des Hinduismus oder Sanathana Dharma (das ewige Gesetz).
Ohne Gründer oder einem einheitlichen Glaubenssystem umfasst der Hinduismus ein breites Spektrum von Glaubensvorstellungen, Praktiken und heiligen Wesen. Er reflektiert die vielen Regionen, Sprachen und Kulturen, die das riesige Land Indien ausmachen, in dem 95 Prozent aller Hindus auf der Welt leben. Hervorgehoben wird die Vielfalt der Religion noch durch die vier Hauptsekten des Hinduismus, jede mit ihrer eigenen Hauptgottheit: Shaivismus (Shiva), Shaktismus (Göttliche Mutter Shakti), Vishnuismus (Gott Vishnu) und Smarta (eine liberale Form,die den höchsten Gott in mehreren Formen akzeptiert). Als Beispiel für die Pluralität der Religion mag ein Hindu hauptsächlich eine Gottheit anbeten, zum Beispiel Krishna (eine Erscheinungsform von Vishnu), während sein induistischer Nachbar Ganesha anbeten mag.
Jede Hindusekte hat unzählige Gurulinien Priester, heilige Schriften, heilige Stätte und Zehntausende Tempel, groß und klein. Aber die drittgrößte Religion der Welt nach dem Christentum und dem Islam besitzt vereinigende Hauptregeln, die praktisch alle Sekten und
Praktiken prägen. Anhänger verehren ein alles durchdringendes höchstes Wesen und Schöpfer. Sie erachten alles Leben als etwas Heiliges, das verehrt und geschützt werden muss. Hindus glauben auch, dass keine Religion den einzigen Weg zur Erlösung lehrt. Alle
ehrlichen Wege sind Aspekte von Gott und verdienen Toleranz und Verstehen.
Zwei Hauptsäulen des Hinduismus sind der Glaube an Karma und Reinkarnation, die eng im Zusammenhang damit stehen, absolute Wahrheiten aufzuzeigen. Alte Rishis oder Weisen enthüllten diese
zentralen Lehren vor langer Zeit, als sie aufbrachen, um herauszufinden, warum einige Leute litten, während andere voller
Glück und Erfolg lebten. Nach tiefen Meditationen wurden die Gesetze von Karma ihnen bekannt gemacht, sie zeigen, wie die Seele die geistigen Eindrücke und Konsequenzen dessen, was in früheren Leben geschah, in nachfolgende trägt.
Wortwörtlich bedeutet Karma „Tat" oder „Handlung", aber eine genauere Beschreibung wäre Ursache und Wirkung. Es sollte nicht für Schicksal gehalten werden, denn in der Welt der Hindus, teilt Gott das Schicksal nicht zu. Im Wesentlichen erntet die Seele die Auswirkungen ihrer eigenen Handlungen. Für Taten der Freundlichkeit in Gedanken, Worten oder Taten kann man das Gleiche erwarten. Wenn jemand Verletzung verursacht, wird auch das zurückgezahlt. Karma kann auch zu verschiedenen Zeiten verwirklicht werden, abhängig von den Zuständen im Leben einer Person — es könnte im nächsten Leben sein oder weiter vorne auf der zukünftigen Zeitspur. Durch gute Taten, Reue und Wallfahrten zu heiligen Stätten ist es auch möglich, heutige karmische Schulden zu verzögern oder zu glätten. Ein Sadhguru oder hochentwickelter Lehrer erzählte seinen Anhängern auch, dass es kein gutes oder schlechtes Karma gibt, sondern nur selbst erschaffene Erfahrungen, die Chancen darstellen, um sich auf seiner spirituellen Reise zu entwickeln — oder zurückzubilden.
Es ist im Hinduismus eine feste Überzeugung, dass auch wenn der Körper stirbt, die Seele ihre Reise fortsetzt. Im Gegensatz zum Christentum wird zum Zeitpunkt des Todes nicht über einen geurteilt und dann folgt eine Ewigkeit in Himmel oder Hölle. Im Hinduismus ist der Tod lediglich eine Tür zur nächsten Wiedergeburt, und die Reinkarnation repräsentiert den Pfad zur Vereinigung mit dem Göttlichen. Mit jedem Leben wird ein weiterer Schritt in Richtung der Verfeinerung der Seele durch weitere spirituelle Entwicklung in der
Astralwelt der Zweiten Welt gemacht.
Eine von drei Welten (die in der klassischen hinduistischen Tradition weiter in 14 Stufen unterteilt sind) — die Astralwelt — ist der Ort an den Seelen nach dem Tod gehen, aber er wird auch kurz beim Schlaf und in Träumen erlebt. Wenn der Körper stirbt, befindet sich die Seele in einem Astralleib in dieser Welt, wo sie sich weiterentwickeln kann. Wenn das Karma es anordnet, wird der Astralkörper abgeworfen und die Seele wird in menschlicher Form in der ersten Welt wiedergeboren, der irdischen Welt. Dieser Zyklus von Geburt-Tod- Wiedergeburt ist bekannt als Samsara und setzt sich immer weiter fort, bis die Seele sich spiritueller Befreiung nähert. Moksha und Selbstverwirklichung genannt und mit vielen anderen Namen bezeichnet, gipfelt Freiheit von diesem Kreislauf in Einheit mit dem Göttlichen. Dies ist das geistige Ziel jedes frommen Hindus und geschieht im Bereich, der als dritte Welt bekannt ist, der höchsten Ebene, die Heimat verschiedener Stufen erleuchteter Wesen ist.
Wie vielleicht zu erwarten ist, schreitet man nicht nur weiter nach oben, und wenn eine Person ein verdorbenes Leben führt, gibt es für Seelen auch niedrigere Bestimmungsorte, die als „höllische Ebene" des niedrigeren Bewusstseins" bezeichnet werden. Aber für die Hinduisten gibt es keine „ewige Verdammnis", es gibt immer die Möglichkeit aus dem Abgrund der tieferen Bereiche emporzusteigen — nachdem man seine Schulden bezahlt hat. In der Tat entwickelte sich ein großer hinduistischer Heiliger, der einst ein Plünderer und Mörder" war, bis zu einem Punkt, an dem er der Urheber der Ramayana wurde, eines der wichtigsten epischen Gedichte des Hinduismus. Diese Weltsicht bietet einen unverzichtbaren Blick in menschliches Verhalten und hilft Hindus zu verstehen, dass Personen auf bestimmten Stufen der spirituellen Entwicklung sich alle unterschiedlich verhalten werden — und dass sie selbst in einem vergangenen Leben ein Dieb oder ein Präsident gewesen sein mögen. Das bringt Toleranz und Akzeptanz hervor, entscheidende hinduistische Tugenden.
Die verbreitetste Methode, wie Hindus ihre Hingabe ausdrücken, ist durch Anbeten von Gottheiten, die von Heiligen und Weisen bis hin zu den Mahadevas, auch die Großen Götter des Hinduismus genannt, reichen. Während geringere Wesen wie Engel und Geister in der zweiten Welt leben, leben die mächtigsten Götter, wie z. B. Shiva, Shakti, Ganesha und Vishnu in den oberen Bereichen der dritten Welt. Und obwohl gesagt wird, dass das
vollständige Gefolge der hinduistischen Götter 333 Millionenbeträgt, gibt es nur ein höchstes Wesen, Brahman, und von ihm wird gesagt, dass er sie alle geschaffen
hat. Die verschiedenen Erscheinungsformen der Mahadevas, etwa Rama und Krishna, wie auch die geringeren Götter können von Anhängern, die für sie in Hausschreine, in
kleinen Schreinen, die es in jeder Stadt oder jedem Dorf gibt, oder in großen Tempeln
in Varanasi beten, immer erreicht werden. In der Tat kommen die drei Welten im Hindutempel zusammen. Tempel werden als das Zuhause der Götter und für heilige Ort gehalten, die mit nichts zu vergleichen sind. Hier können Anhänger sich versammeln und beten und ihre tiefsten Gedanken und spirituellen Bestrebungen an Statuen und andere Darstellungen der heiligen Wesen vermitteln. Im Tempel erhalten Hindus Shakti oder Segen und Erkenntnisse, die durch subtile göttliche Energieströme zum Ausdruck gebracht werden, Ströme, die die Macht haben, ihr Leben zu verändern, wie etwa das Beseitigen
karmischer Geschehnisse aus vergangenen Leben.
Der Hinduismus wird für die weltweit älteste noch erhaltene Religion gehalten und hat heute über eine Milliarde Anhänger oder fast ein Sechstel der Menschheit. Er ist mehr als nur ein spiritueller Pfad, er ist tief in die indische Kultur verwoben und spielt eine wichtige Rolle für Indiens nationale Identität. Aber die Reichweite des Hinduismus ist global. Die heiligen Schriften des Hinduismus, die Veden (von dem Wort vid, was Wissen oder Weisheit bedeutet) werden für mindestens 10.000 Jahre alt gehalten und sind älter als der Hinduismus, wie er heute praktiziert wird. Die Theologie der vier Veden, der weltweit ältesten Schriften (Bild links), ist das Fundament der Hindureligion. Abgefasst in vedischem Sanskrit werden diese Hymnen des Wissens und der heiligen Riten für Gottes Wort gehalten.
NL. Zündorf, Quelle: Advance Magazin, 51. Jahrgang, Ausgabe 3
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