Vor Jahrzehnten etablierte die Wissenschaftsgemeinde Afrika als die Wiege der Menschheit. Entdeckungen, die von bekannten Archäologen wie Dr. Louis Leakey ausgegraben wurden, enthüllten einen Schatz an Wissen über den frühen Menschen, der Afrika als Zentrum der Ursprünge der Menschheit ins Rampenlicht stellte. Obwohl die Wissenschaft heute auf breiter Ebene akzeptiert wird, war sie vor einhundert Jahren, als sie zum ersten Mal aufgebracht wurde, eine radikale Vorstellung, die die lange vertretenen Annahmen entkräftete, dass die Menschheit in Europa oder Asien begann.
Ein weiterer Aspekt dieses großen Kontinents, der ein Schattendasein führte, ist seine reichhaltige spirituelle Tradition. Von den warmen Gewässern des Mittelmeers bis zur eisigen See des Südatlantiks entstand in Afrika über die Jahrtausende hinweg eine breite und vielfältige Reihe von spirituellen Überzeugungen.
Verallgemeinerungen werden den vielen Traditionen nicht gerecht, die ihre Wurzeln in Afrika haben, aber es gibt erhebliche
Gemeinsamkeiten, die man insbesondere im Afrika südlich der Sahara beobachten kann, wo einzigartige afrikanische spirituelle Sichtweisen bis zu den Anfängen der Menschheit zurückreichen.
Allein im Laufe des letzten Jahrhunderts hat sich die geistige Landschaft auf dem afrikanischen Kontinent schnell verändert. Noch bis 1900 praktizierten die meisten Afrikaner irgendeine Form von traditioneller Spiritualität. Heute sind 80 Prozent der Afrikaner entweder Christen oder Muslime, aber keine der beiden Religionen hatte ihre Ursprünge dort und beide wurden von Außenstehenden
gebracht.
Einheimische afrikanische Spiritualität ist in wichtigen Punkten sehr anders von den zwei moderneren Religionen. Als erstes ist das Wort „Religion" problematisch, da das Wort eine getrennte Aktivität oder heiliges Wissen, abgespalten von jemandes Kultur, der Gesellschaft und Umgebung, impliziert, was nach afrikanischem Empfinden unglaubwürdig ist.
Jacob Olupona, Professor für afrikanische religiöse Traditionen an der Harvard Divinity School, sagte der Harvard Gazette: „Afrikanische Spiritualität bestätigt einfach, dass Überzeugungen und Praktiken
jeden Aspekt des menschlichen Lebens berühren und durchdringen, und
deshalb können afrikanische Religionen nicht vom Alltäglichen oder Profanen losgelöst werden." Anders als bei Religionen wie dem Christentum identifizieren sich afrikanische Traditionen stark mit dem Heimatland der Ahnen. Daher ist die Religion der Yoruba an Nigeria gebunden und die Religion der Zulu an Südafrika. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die einheimischen Überzeugungen nicht an irgendwelche schriftlichen Texte wie dem
Koran oder Talmud gebunden sind. Es sind auch fast ausschließlich mündliche Überlieferungen, was sie beeinflussbar macht. Im Laufe der Jahrhunderte veränderten sie sich, als sie von anderen Kulturen und Glaubenssystemen durchdrungen wurden.
Professor Olupona weist etwa darauf hin, dass der Besitzer eines afrikanischen Amuletts
darin eine Inschrift aus der Bibel haben könnte. „Er betrachtet den anderen Glauben als Ergänzung oder sogar Beigabe von spiritueller Stärke zu seiner eigenen spirituellen Praxis." Dies erklärt auch, warum sie während der afrikanischen Verstreuung,
angefangen mit dem Sklavenhandel im fünfzehnten Jahrhundert, ihre Religionen zusammen mit dem katholischen Glauben mit sich in ihre neue Heimat an Orten wie Kuba, Haiti und Brasilien nahmen, wo sie heute immer noch praktiziert werden.
In diesen Traditionen werden an jüngere Generationen mehr als nur religiöse oder spirituelle Texte vermittelt, sondern eher eine kulturelle Identität, die durch Geschichten, Mythen und Erzählungen weitergeführt wird. Die Ältesten gelten als endgültige Autorität
und ihr Wort ist heilig. Die Traditionen sind auch sehr holistisch, eine körperliche Krankheit wird also auch als ein geistiges Problem betrachtet. Krankheit konnte nicht nur ein Ungleichgewicht des Körpers darstellen, sondern auch von den Verbindungen zur Familie,
einschließlich der Qualität von Beziehungen mit verstorbenen Vorfahren.
Stolze Tradition - Ein Ältester der Zulu trägt ein Leopardenfell Umhang sowie eine Krone mit einer Straußenfeder, was auf einen königlichen Status hinweist. Schilde werden normalerweise aus Ziegen- oder Rindsledergemacht und sind auch ein Statussymbol als Krieger. Vor vielen Jahrhunderten wären eine solche Aufmachung und solche Waffen fiir eine Schlacht, aber heute werden sie bei Zeremonien wie Hochzeiten verwendet. Auch heute bleiben Traditionen verbreitet und können auf diese Weise im Stammesland und zu besonderen Anlässen sogar in Stadtgebieten beobachtet werden.
Während die Glaubensvorstellungen wie die Existenz eines höchsten Wesens oder vieler auf dem afrikanischen Kontinent variieren, ist eine Sache, die praktisch in jeder Region gleich ist, die Ehre und der Respekt für die Ahnen. Längst verstorbene Familienmitglieder sind nicht irgendeine vage Erinnerung oder ein Foto, sondern sind aktiv an wichtigen Angelegenheiten von lebenden Verwandten und ihrer Gemeinde beteiligt. Insgesamt wird angenommen, dass die Ahnen einen höheren Platz als Menscheneinnehmen und als Boten zwischen der geistigen Welt und den Lebenden dienen. Sie haben die Kraft ihren Nachkommen Wohlstand, Bekanntheit und gute Gesundheit zu gewähren, aber sie können die Lebenden auch mit Krankheit oder Unglück bestrafen. Das mag der Fall sein, wenn ein Schrein nicht instand gehalten wird oder gegen irgendein anderes Protokoll verstoßen wurde.
Die bevölkerungsreichste ethnische Gruppe in Südafrika, die Zulu,
bezeichnen sich selbst als „Die Menschen des Himmels". Wie die bei den meisten Traditionen in Afrika glauben sie an ein Leben nach dem Tod mit einer tiefstempfunden Beziehung zum Universum. Begräbnisse haben eine besondere Wichtigkeit und jede Person, die stirbt, muss auf traditionelle Weise begraben werden. Normalerweise wird ein Tier geschlachtet, um die Geister zu beruhigen, und der Verstorbene wird mit einigen persönlichen Gegenständen begraben, um ihm bei seiner Reise zu unterstützen. Wenn die Zeremonie nicht richtig durchgeführt wird, könnte die Person unglücklich und ein umherwandernder Geist werden.
Von den Ahnen der Zulu wird gesagt, sie leben in der Geisterwelt unter dem höchsten
Wesen, bekannt als Unkulunkulu. In diesem Bereich dürfen sie eine wichtige Rolle als Mittler zwischen den Lebenden und den höheren Wesen spielen. Diese Geister sind ein zentrale Grundsatz der Zulu-Überzeugungen und kontinuierliche Kommunikation mit ihnen ist für persönliches und gemeinschaftliches Wohlbefinden wichtig.
Bei wichtigen Anlässen — egal ob Geburten, Erwachsenwerden, Hochzeiten oder Tode — werden die Ahnen durch Spenden wie hausgemachtes Bier und Tieropfer kontaktiert. Wie in anderen afrikanischen Traditionen steht der Mensch nicht im Mittelpunkt der spirituellen Praxis der Zulu. Stattdessen ist der Mensch von einemriesigen Bereich von Geistern umgeben. Obwohl diese andere Welt einen überall umgibt, glauben sie, dass die effektivste Art und Weise mit ihr zu kommunizieren und sie zu verstehen, mittels Heilern und Wahrsagern namens Sangomas ist. Ob man sich an das höchste Wesen wenden oder einen Ahnengeist erreichen will, die beste Methode ist Weissagung. Diese kann viele Formen annehmen, aber die Absicht ist im Wesentlichen die gleiche: eine Verbindung zu schaffen und respektvoll eine Anfrage zu machen. Eine beliebte Methode; die von den Sangomas verwendet wird ist es, kleine Gegenstände hinzuwerfen aus denen dann ihre Bedeutung abgelesen wird. Je nach Region könnten das auch Kaurimuscheln, Knochen, Steine oder Lederstreifen sein. Oftmals wird das innerhalb eines kleinen Kreises auf dem Boden oder auf einer speziellen Platte gemacht. Unter den verschiedenen Völkern von Südafrika (es gibt viele verschiedene Sprachgruppen, siehe Karte) gibt es zwei Hauptarten von Heilern —diejenigen, die weissagen, und diejenigen, die mit Pflanzen und andere Naturstoffen heilen.
Beide werden hoch geachtet, denn sie können bei einer persönlichen,
Familien- oder Gemeindesituation helfen. Dies könnte alles umfassen, vom Heilen emotionaler, körperlicher und geistiger Krankheit bis hin zum Finden verlorener Rinder, dem Beschützen von Kriegern oder Wiedergeben wichtiger Mythen und Geschichten. Im Laufe der
Geschichte haben viele Menschen in Afrika in ländlichen oder abgelegenen Gegenden gelebt (und leben dort noch immer). Sie sind von der Natur also besonders abhängig, natürliche Phänomene zu beeinflussen, ist also ein wichtiger Teil dieser spirituellen Praxis.
Donner, Blitz, Regen, Flüsse, der Mond und die Sonne werden alle potentiell durch Bittgesuche an spirituelle Wesen beeinflusst, die Wahrsager werden also auch für diese Zwecke herbeigerufen. Einige der verschiedenen Methoden, wie die südafrikanischen Sangomas diese Rituale ausführen, umfassen das Verbrennen von duftenden Kräutern
und dann Tanzen, sowie Gesang und Trommeln, um die Ahnen oder Geister
heraufzubeschwören. Unter den Zulu und damit verbundenen Völkern in der Region nennt sich diese Praxis Ngoma und umfasst die Verwendung traditioneller afrikanischer Medizin, um die Welten von Menschen und Geistern im Gleichgewicht zu halten. Manchmal machen sie es auch in einer heiligen Heilungshütte, wo durch Mittel wie Traumdeutung oder
Besitzergreifen des Geistes eines Ahnen bestimmte Information an die betroffene Person übermittelt werden.
Ein anderes Volk, das sich auf Tanz und Trance als eine Methode zur Verbindung mit der
Geisterwelt und der natürlichen Umgebung verlässt, ist Südafrikas ältester Stamm, das Volk der San. Durch das Studium von Höhlenmalerei und anderen archäologischen Beweisen wird angenommen, dass sie für mindestens 20.000 Jahre im heutigen Botsuana und Südafrika gelebt haben. Ihre spirituelle Hierarchie umfasst ein höchstes Wesen und niedrigere Götter sowie ihre Ahnen. Bei Zeremonien, die zu Zeiten zurückreichen, bevor Stammesgruppen wie die Zulu und die verwandten Bantu eintrafen, führten sie Tänze durch, die enorme Energien würden, die auf alles gerichtet werden könnten, von einer
Zunahme des Wildes bis hin zum Bringen von Regen.
Pracht und Lob. Ein Beispiel für Afrikas lebendige Traditionen ist der Ukubonga oder „Lobsänger" von Südafrika. Als Mischung aus Stadtschreier, Historiker und Dichter ist diese wichtige kulturelle Gestalt ein fester Bestandteil bei großen Zeremonien. Abgebildet ist Zolani Mkiva, der diese Rolle bei einigen der wichtigsten Momente von Südafrika erfüllte, einschließlich der Amtseinführung von Nelson Mandela.
EINE NEUE ART VON WEISHEIT UND FREIHEIT
Heute schwindet die halbnomadische Lebensweise der San und sie haben den Großteil ihres Landes verloren. Und obwohl
noch einige traditionelle Formen der afrikanischen Spiritualität praktiziert werden, beherrschen nun andere Religionen den Kontinent.
Die alten Methoden gelten nun zunehmend als kulturelle Prüfsteine, die Mythen, Geschichten und Stammeswissen lebendig halten, relevant für moderne Afrikaner. In der Tat ist Spiritualität in die afrikanische Kultur eingeflochten, seine vielen verschiedene Völker steuern Fäden für einen komplizierten Wandteppich bei.
NL. Zündorf
Quelle: Advance Magazin 51. Jg. Ausgabe II
Sponsored Links