Aborigines - Australiens Hüter der ersten Kultur

Australien ist die Heimat vieler Wunder. Aber sein beständigstes und tiefgründiges

Erbe sind sein erstes Volk — die Aborigines. Das heutige Volk der Aborigines wird von vielen Anthropologen als die älteste intakte Kultur auf dem Planeten betrachtet und sind die Erben einer robusten und unempfindlichen Kultur, die zutiefst spirituelle Tradition umfasst. 

 

Jede Diskussion der Spiritualität der Aborigines muss mit der Traumzeit  beginnen. Es ist ein Begriff, für den es keine direkte Übertragung im Deutschen gibt, und die Idee an sich ist dem traditionellen westlichen Denken vollständig fremd. In einer Hinsicht beschreibt die Traumzeit den Schöpfungsmythos der Aborigines. Sie zeugt von großen Ahnenwesen, die vom Himmel, aus der Erde oder von oberhalb den Ozeanen kamen und dann die flache, karge Landschaft Australiens in ein lebendiges Land mit Flüssen, felsigen Abgründen und Flussmündungen voller Fische und Wild verwandelten. Diese träumenden Vorfahren schufen entweder Merkmale der natürlichen Welt oder verwandelten sich in unterschiedliche Formen, um selbst ein Teil der Landschaft zu werden, wie Bäume, Höhlen und Wasserlöcher. Ihr Geist wurde ebenfalls durch heilige Tiere dargestellt, wie der Hai, das Goanna und Krokodil, das ist der Grund, warum Ureinwohner immer solch eine Ehrerbietung für ihr Land und ihre Kreaturen hatten. 

Die Traumwelt erklärt auch, wie Dinge entstanden sind — warum sich etwa ein Fels an einem bestimmten Ort befindet oder wie Kängurus ihren Schwanz bekamen.

 

Auf einer anderen Ebene repräsentiert die Traumwelt einen Daseinszustand, der über Zeit hinausgeht — in der Tat hat keine der Hunderten Aboriginesprachen ein Wort für die westliche Vorstellung der Zeit.

 

Stattdessen ist die Traumzeit ein zeitloses Konzept, das sich auf die Ursprünge der Aborigines bezieht, aber auch Regeln festlegt, nach denen man lebt und eine Methode für jeden einzelnen, um eine Verbindung zum riesigen Wissensschatz herzustellen, der jedem zur Verfügung steht, der den traditionellen Verfahren folgt.

 

Ein Aborigineältester beschreibt es folgendermaßen: „Die Traumzeit ist mehr als nur eine Erklärung der kulturellen Normen und woher Sie kommen. Die Traumzeit ist ein vollständiger Leitfaden des Lebens — es ist eine Enzyklopädie der Welt. Es sind nicht nur Geschichten — es umfasst Kunst, Lieder, Tänze; es wurde direkt in das Land selbst gebrannt." Vor allem während Zeremonien trat der tranceartige Zustand der Traumzeit auf, durch den die Völker der Aborigines sich mit Wissensquellen und den angestammten Wesen verbinden können.

SCHÖPFER DER GESETZE UND DES LANDES

Einer der bekanntesten dieser angestammten Geister — den viele hunderte Stämme gemeinsam hatten, die Australien ursprünglich bevölkerten — ist die Regenbogenschlange. Es gibt unzählige Namen und Geschichten, die mit diesem Wesen im Zusammenhang stehen, wobei alle seine Kraft und Bedeutung hervorheben. Sie wird oft als weiblich und als die Spenderin von Leben angesehen, sie kam von unter der Erde und durch ihre Bewegungen schuf sie große Täler, hoch aufragende Gipfel, Wasserlöcher und andere Merkmale, die das Land für Menschen lebendig machten. Unter den sehr verschiedenen Kulturen, die das Australien der Aborigines formten, gab es keinen einzelnen Gott, der den ganzen Kontinent umspannte. Jeder Stamm hatte seine eigenen mächtigen Geister mit einer Überschneidung von Überzeugungen, genauso wie es eine Überschneidung von Wörtern zwischen verschiedenen Klans gab, die verwandte Sprachen gesprochen haben können.

 

Die Regengeister im nördlichen Kimberley in Western Australia zum Beispiel gehören zu mehreren Stämmen in dem Gebiet. Diese Geister sind nicht nur für die Regenfälle in der Regenzeit verantwortlich, sie bestimmen auch viele der Gesetze der Völker. Gen Osten übernehmen verschiedene geistige Wesen diese Funktion, einschließlich der Geister bekannt als die Lightning Brothers, welche für die Völker im Distrikt Victoria River heilig sind.

 

Was alles noch komplizierter machte, ist, dass die geistigen Wesen der Aborigines

viele unterschiedliche Rollen hatten und in eine oder mehrere allgemeine Kategorien fallen, einschließlich Schöpfungswesen, Ahnenwesen und Totemwesen.

DIE ROLLE DER ALTEN BEI DEN ABORIGINES

Ein Aborigines Ältester bringt Jugendlichen die Bedeutung der alten Felsmalereien bei, die mythische Wesen repräsentieren
Ein Aborigines Ältester bringt Jugendlichen die Bedeutung der alten Felsmalereien bei, die mythische Wesen repräsentieren

Schöpfungswesen wie die Regenbogenschlange schufen die Menschen, die Landschaft und Elemente, die die Umgebung ausmachen, einschließlich allem von verschiedenen Arten von Eukalyptusbäumen bis hin zu bunten Farbpigmenten, um den Körper zu zieren.

 

Sie bewohnten die Welt während der frühesten Anfänge der Traumzeit, schufen Lagunen, zogen Berge hinauf und kreierten die ersten Pflanzen und Tiere. 

 

Ahnenwesen waren die direkten Vorfahren der Völker. Die Ahnenwesen lehrten den ersten Klans, wie man Werkzeuge und Waffen herstellt, Tiere jagt und Nahrung sammelt. Sie legten auch die Gesetze fest, welche die Gesellschaft regeln und brachten den Leuten die richtige Art und Weise bei, wie man Zeremonien durchführt.

 

Totemwesen repräsentieren die erste Form eines Tieres oder einer Pflanze während dem Entstehungszeitraum der Traumzeit. Die Völker der Aborigines betrachteten sich selbst als Verwandte bestimmter Totemwesen, wie etwa dem Krokodil, und ihre spezifische Gruppe

identifizierte sich mit diesem Totem. Diese Gruppierung spielt eine wichtige Rolle

bei der Bestimmung der Herkunft und der Verbindung einer Person zum Land und

ihrer Welt, einschließlich persönlicher Beziehungen und jenen mit anderen Klans.

KUNST GILT ALS 'GEISTIGES WESEN' BEI DEN ABORIGINES

Symbole im Sand, die Elemente der Traumwelt darstellen. Alle sind erfüllt von verborgenen Zusammenhängen und tieferer Bedeutung
Symbole im Sand, die Elemente der Traumwelt darstellen. Alle sind erfüllt von verborgenen Zusammenhängen und tieferer Bedeutung

Seit dem Ursprung der Traumzeit besaß jede Gruppe der Aborigines eine Reihe von

Traumzeit-Standorten, an denen bestimmte Vorfahren erschienen, die Landschaft

formten und Nachkommen produzierten, welche die menschlichen Vorfahren der

Völker wurden. Über die Jahrhunderte hinweg versammelten sich Klans an heiligen

Stätten auf ihrem angestammten Gebiet, um ihre alten Vorfahren der Traumzeit durch Sprechgesang, Tanz und Musik zu ehren. Die Durchführung dieser Zeremonien bilden den Kern des spirituellen Lebens der Aborigines. 

 

Diese Zeremonien waren weit davon entfernt, einfach nur unterhaltsam zu sein, sie waren bedeutend. Die Überzeugung war, dass, wenn nicht ordnungsgemäß durchgeführt, die Ordnung des Kosmos und der jährliche Lebenszyklus — etwa wann es Regenfälle gab — gestört würde. 

 

Eine äußerst wichtige Form der Kommunikation berührte praktisch jeden Aspekt der Kultur, die Kunst der Aborigines war von höchst symbolischer und spiritueller Natur und gewöhnlich völlig unlesbar für jemanden, der nicht in bestimmte Traditionen eingeweiht war. Die Kunst der Aborigines ist geometrisch und war gewöhnlich auf Körperbemalungen, geschnitzten Bäumen, Bodenzeichnungen, Felsgravuren, Rindenmalereien und Mustern auf Gebrauchsgegenständen wie Bumerangs

und heiligen Gegenständen zu sehen.

 

Die Ausübung der Künste stand bei der Kultur der Aborigines im Mittelpunkt, denn sie drückt die allgemeinen Vorstellungen über das Land, die Gesetze der Traumzeit und die Beziehung der Ureinwohner zu Ehren von Geistern aus.

 

Die Künste bilden noch immer eine lebendige Tradition, die seit Tausenden von

Jahren über die Generationen weitergegeben wurde. Moderne Werke junger Künstler traditioneller Gemeinschaften verwenden Linien und Symbole, die seit Jahrhunderten dieselben geblieben sind, selbst wenn sie neue Elemente hinzufügen, um die moderne australische Landschaft zu interpretieren.

 

Eine der ergreifendsten und kraftvollsten Darstellungen dieser Tradition ist die Felsmalerei. Es handelt sich um eine visuelle Sprache, die viele Jahrhunderte zurückreicht, diese Werke zeigen Totemtiere oder -wesen sowie esoterische Geister auf Leinwänden, Felsvorsprüngen, Höhlenwänden und anderen Orten von ritueller Wichtigkeit. Einige Bilder sind so alt, dass sie über die mündlichen Überlieferungen jeder Gruppe der Aborigines hinausgehen und von denen daher gesagt wird, sie seien von den geistigen Wesen selbst gemalt worden. Ähnliche Szenen wurden mit Felsgravuren dargestellt, die mit Steinzeitwerkzeugen in die Wände geätzt wurden, wie zum Beispiel jene, die sich in den Koonalda-Höhlen in Südaustralien befinden, von denen Fachleute glauben, dass sie vor 20,000 Jahren geschaffen wurden.

Lieder von Bedeutung bei den Aborigines

Didgeridoo Spieler
Didgeridoo Spieler

Per dem Glaubenssystem der Aborigines waren es die ersten Ahnenwesen, welche die ersten Zeremonien abhielten und die ersten Entwürfe schufen, die auf Höhlenwänden, Körpern von Kriegern und die Erde gemalt und sogar in Waffen geritzt wurden. Aber die Musik und der Tanz spielten auch eine wichtige Rolle. Es sind mehr als nur Melodien — die auf traditionellen Instrumenten wie dem Didgeridoo gespielten Lieder erzählten die Geschichten der Reisen von menschlichen und tierischen Vorfahren in allen Einzelheiten, einschließlich der Beschreibung von jedem Ort, den der Vorfahr besuchte, was dem Zweck diente, die Länder und Grenzen zu definieren. Benachbarte Klans schufen kulturelle Wegweiser, indem sie ähnliche Mythen durch Lieder miteinander teilten, die sie sangen. Sie hatten verschiedene Texte, die zusätzliche Informationen hinzugaben, welche die Entdeckungsreisen der Vorfahren in ihrem Land beschrieben. Dadurch wurden lokale Wahrzeichen eingeführt und vergangene Ereignisse beschrieben, die in bestimmten Regionen ihre Abdrücke hinterließen. Genauso wie die Legenden und Lieder erzählen, wo die Vorfahren starben oder in der Landschaft verblieben, verewigten Gemälde und Gravuren sie für die Nachwelt und wurden deshalb als Essenz der geistigen Wesen selbst betrachtet. Lieder konnten auch ausdrücken, wo Nahrungsmittel, Wasser und Unterkunft gefunden werden konnte. Für die Aborigines waren die Lieder Teile eines Puzzles, das die Bedeutung und die Beschaffenheit ihrer Umgebung zusammensetzt. Als Meister ihrer Länder und Hüter der alten Traditionen, erkannten die Aborigines, dass es eine spirituelle Dimension gab und dass sie mehr als ein Körper waren. Doch ihre Suche durch die Jahrhunderte führte sie nicht zu neuen Daseinszuständen doch sie sind überzeugt: Es gibt die spiritueller Wahrheit.

NL. Zündorf

Quellen: Advance 50. Jahrgang, Ausgabe 5

https://de.wikipedia.org/wiki/Aborigines 

Aborigines - Gestern und Heute: Gesellschaft und Kultur im Wandel der Zeiten, von Sabine& Burkhard Koch

Die Aborigines Australiens (Beck'sche Reihe), von Gerhard Leitner